Planting und Pay-off

Planting und Pay-off oder Die Wiederentdeckung des Alten im Neuen

Essay von Marcus Patrick Rehberg, VeDRA (erschienen im Online-Fachmagazin „WENDEPUNKT des Dramaturgenverbands VeDRA)

Was wäre, wenn … es ein universelles Implementierungs-Tool namens „Planting und Pay-off“ gäbe, mit dem man als Drehbuchautor/in alle strukturellen und funktionalen Erfordernisse unterschiedlicher Drehbuchlehren und dramaturgischer Methoden konkret erzählerisch umsetzen könnte?

Muss die Geschichte des „Planting & Pay-off“ dafür neu geschrieben werden?

Nein, im Gegenteil: Alles, was war, bleibt, wie es ist. Nur Neues kommt hinzu. Denn alle Erzähler/innen haben das zugrunde liegende Funktionsprinzip schon immer angewendet – ob nun bewusst oder intuitiv. Beginnen wir also mit einem Rückblick: Die bekannteste Definition des Phänomens, dem man in Hollywood den knackigen Namen „Planting und Pay-off“ gab, lieferte Anton Tschechow, indem er forderte, dass wenn im ersten Akt ein Gewehr an der Wand hänge, im dritten Akt damit geschossen werden müsse. Der große russische Dramatiker trat damit für ein effizientes ökonomisches Erzählen auf der Bühne ein.

Interessanterweise zitiert „Hollywood“ Tschechows Forderung öfters in abgewandelter Form: „Wenn im dritten Akt ein Gewehr schießen soll, muss es im ersten Akt an der Wand hängen.“ Hier wird also die Vorbereitung und Plausibilisierung eines später eintretenden Ereignisses durch das Mittel des foreshadowing für den Zuschauer in den Fokus gestellt.

Bevor ich nun eine Neudefinition des Begriffs „Planting und Pay-off“ gebe, möchte ich zunächst meinen persönlichen Erfahrungsweg, der mich zu dieser Definition führte, schildern. Es ist gewissermaßen die Geschichte eines rund 10-jährigen Plantings:

Planting 1: (Eine verworfene Idee)

Als ich nach meinem Literaturstudium und vielen Weiterbildungen bei renommierten Drehbuchlehrern an meinem ersten Drehbuch schrieb, dachte ich mir bei der Überarbeitung einer Szene: „Im Grunde ist doch alles Planting und Pay-off, was ich hier mache.“ Da meldete sich aber gleich mein innerer Drehbuch-Theoretiker und ermahnte mich: So leicht könne ich es mir nicht machen!

Planting 2: (Das Story-Atom)

2001, Köln: In einem McKee-Seminar ging mir ein Licht auf, als er die Anekdote erzählte, wie Stanislawski einigen Gästen aus Hollywood erklärt habe, was die kleinste Handlungseinheit sei: nämlich die Aktion eines Schauspielers auf das unmittelbar nächstliegende Ziel der Figur hin und die Reaktion der anderen Figur darauf. Stanislawski habe diese kleinste Handlungseinheit „bit“ (Teilchen) genannt. Und die Hollywood-Leute sollen „Beat“(Schlag/Takt) verstanden haben. Mit diesen Handlungs-Beats konnte ich sehr konkret arbeiten – in der Situation, in der Szene. Aber eben leider nicht auf allen Ebenen der Konstruktion und Vernetzung aller sichtbaren und hörbaren Elemente im Verlauf einer Geschichte bzw. eines Films.

Planting 3: (Der Umbau von Story-Molekül-Ketten)

Wie stark in einem Film alles mit allem vernetzt ist, merkte ich oft bei der Überarbeitung – wenn man ein Detail ändert und sich als Konsequenz daraus ein Änderungsbedarf an vielen weiteren Stellen im Buch ergibt, weil diese Stellen mit dem geänderten Detail in kausaler Verbindung stehen. Mark Travis beschreibt dies eindrücklich als „Ripple Effect“.

Planting 4: (Erinnerung an eine alte Einsicht)

Als Dozent entwarf ich eine Schautabelle, mit deren Hilfe ich die Struktur- und Funktionselemente (wie z.B. „Exposition“, „Midpoint“ oder „Ultimatum“, „Dramatische Ironie“) einer Story erklären konnte. Dabei erkannte ich, dass sich alle Fachbegriffe, die ich in die Tabelle eintrug, letztlich um die Steuerung des Informationsflusses im Film und für den Zuschauer drehten. Man musste sie generieren, indem man zwei oder mehrere Informationen in einen (kausalen oder assoziativen) Sinnzusammenhang stellte.

Pay-off: (Bestätigung einer Vorahnung)

Erst im letzten Jahr gab ich dem, was ich (wie wohl alle Autoren/innen) seit Langem tat, endlich einen Namen – beim Pizza-Essen, während eines Gesprächs mit Prof. Alfred Behrens. Seine Idee war ein „Planting und Pay-off“-Workshop, in dem die Teilnehmer/innen zwei Szenen drehen: eine Planting-Szene und die dazugehörige Pay-off-Szene. Und dazwischen eine Einblendung: „Zwei Stunden später.“ (oder eben Sekunden, Minuten, Stunden, Wochen, Monate, Jahre später.) Und da hatte ich dann mein spätes „Pay-off“ einer zehn Jahre dauernden „Planting“-Phase – ich bekam wieder Zugang zu meiner Idee aus Planting 1 und konnte sie nun präziser formulieren: Ich nutze Planting und Pay-off als universelles Konstruktionsprinzip von filmischer Beziehung in Zeit und Raum.

Nun sah ich plötzlich in eine Welt voller Plantings und Pay-offs. Ein Film bzw. ein Drehbuch definierte sich vor meinen Augen als Netz von kausal oder assoziativ verknüpften Informationen. Und der erweiterte „Planting und Pay-off“-Begriff bildete für mich das Beschreibungs- und Konstruktionssystem dieser Verknüpfungen. Für die konkrete Umsetzung der Erkenntnisse aus Drehbuchtheorien und dramaturgischen Methoden hatte ich nun ein praktisches Mikro-Tool zur Verfügung, mit dem ich Wendepunkte, Pointen, Dramatische Ironie, Spannungsbögen, aber auch Begriffe wie Subtext, Zugehörigkeit, Need, Mode oder Dilemma leichter konstruieren und in die Story einweben konnte.

Mini-Crashkurs „Planting & Pay-off“

Zunächst möchte ich nun meine Neudefinition des Begriffs geben: Von einer höheren, abstrakten Ebene aus betrachtet, besteht jeder Film aus nichts anderem als einer bestimmten (ziemlich hohen) Anzahl ineinander verflochtener Plantings und Pay-offs. Dabei steht der Begriff „Planting“ symbolisch für das Setzen von Informationen (jeder Art) im Film und damit für den Zuschauer – und der Begriff „Pay-off“ für den Effekt, der sich zu einem bestimmten Zeitpunkt im Film und für den Zuschauer in Bezug auf die erste Information (also das Planting) ergibt.

Die zentralen Prinzipien des klassischen „Planting und Pay-off“ bleiben auch der neuen Definition inhärent:

  • Jedes Planting benötigt mindestens ein Pay-off.
  • Ein Planting kann mehrere Pay-offs haben.
  • Ein Ereignis (Handlung oder Dialog) kann das Pay-off für mehrere verschiedene Plantings sein.
  • Ein Pay-off kann gleichzeitig ein Planting sein.
  • Je höher die Anzahl der Plantings für ein einziges Pay-off-Ereignis bzw. -Element, desto größer dessen Intensität und Dichte.

Was sich in der Anwendung des Grundprinzips von Planting und Pay-off als Implementierungs-Technik jedoch wesentlich vom bisherigen Gebrauch unterscheidet, ist die höhere Variationsbreite in der Explizitheit des Plantings (normalerweise ist ein Planting für den Zuschauer nicht sofort offensichtlich) und die größere Bandbreite im zeitlichen Abstand zum Pay-off (im herkömmlichen Gebrauch folgt ein Pay-off nicht direkt auf das entsprechende Planting).

Akzeptieren wir diese Definition, entstünde analog zu den Mandelbrot’schen Formbildungsprozessen und den Erkenntnissen der Chaos-Theorie ein einfaches Bausystem, mit dem sich die komplexesten Formen bilden und alle denkbaren Welten erschaffen lassen. Das beschriebene Implementierungs-Tool würde somit alle bereits existierenden Fachbegriffe integrieren und deren Anwendung bzw. erzählerische Umsetzung im Drehbuch erleichtern.

Als nächsten Schritt möchte ich nun exemplarisch einige unterschiedliche dramaturgische Fachbegriffe auf das Grundprinzip des „Planting und Pay-off“ zurückführen: Beginnen wir mit dem Begriff der „Wiedererkennung“ aus Aristoteles’ POETIK: Die Wiedererkennung könnte man als ein Pay-off ansehen. Damit es zur Wiedererkennung kommt, braucht man mindestens ein Planting. Essenziell ist das Planting eines bestehenden, aber unterbrochenen Beziehungsverhältnisses z.B.: „Jemand sucht jemanden.“ oder „Jemand vermisst etwas.“ Weitere Plantings beziehen sich auf die Information, wie eine Figur jemanden oder etwas wiedererkennt. Meist hat eine Wiedererkennung auch viele Plantings, die sich auf die zwei zusammenführenden Wege des Wiedererkennenden und des Wiedererkannten beziehen.

Den Begriff „Wendepunkt“ bzw. Plotpoint könnte man einerseits als ein Pay-off von sehr vielen Plantings aus dem ersten Akt darstellen. So könnte man auch den Akthöhepunkt definieren als eine Szene, deren Inhalt (Handlung, Dialog etc.) mit einer größeren Zahl an Plantings dieses Aktes und der eventuell vorangegangenen Akte in Verbindung steht. Den ersten Wendepunkt kann man andererseits auch als ein zentrales Planting des zweiten Wendepunkts sehen, der seinerseits im Drei-Akt-Modell das Planting für den dritten Wendepunkt, also für den Höhepunkt des Films, ist. So stünden auch die Wendepunkte in einem inhaltlichen Bezug zueinander.

Die „Katastrophe“ ließe sich unter anderem auch als Planting des Höhepunkts bezeichnen. Der Höhepunkt wäre das Pay-off der Katastrophe.

Das bisher gezeigte Konstruktionsprinzip lässt sich auf die Begrifflichkeiten komplexerer Theorien anwenden:

In der Heldenreise können wir „die heile Welt“ des Helden als ein Planting für das Pay-off des kommenden „Aufbruchs“ definieren. Der „rituelle Tod“ fungiert als Planting für das Pay-off der „Auferstehung“.

Auch systemische Begriffe wie „Illoyalität“ oder „Zugehörigkeit“ lassen sich durch Planting und Pay-off schrittweise in die Story implementieren. Ein Beispiel für den ersten Ansatz der Konstruktion von Illoyalität:

Planting (im Dialog): „Aber sag‘s dem Peter nicht.“

Pay-off: Die Figur sagt es Peter.

Diese Grundkonstruktion kann beliebig ausgedehnt werden, bis daraus ein hochkomplexes Netz, ein filmisches Gewebe entsteht. Planting ist dabei die dynamische, vorwärts in die Zukunft gerichtete Komponente. Pay-off ist die rückwärts gewandte, Effekt hervorrufende, schließende Komponente.

Der Bezug zwischen beiden Elementen muss gegeben und erkennbar sein.

Zusammengefasst:

1. Ein Planting ist eine (einfache oder komplexe) Information. Diese wird in Bild oder Ton dargestellt. Informationsträger können sein: Handlungen, Dialog, Figuren/Schauspieler (Mimik, Gestik), Make-Up, Kostüme, Requisite, Ausstattung, Setting, Farben, Licht, Gegenstände, Töne, Geräusche, Musik etc.

2. Das Pay-off ist der Effekt einer zweiten Information in Bezug auf das Planting. Durch diese zweite Information konstruiert sich im Kopf des Zuschauers ein Zusammenhang. Ein Erkenntnis-Zusammenhang. Und dadurch auch eine geistige, intellektuelle oder emotionale Reaktion in Bezug auf diesen Zusammenhang. Das einfachste Grundelement von Beziehung lautet hier: Gezeigt wird eine Information A und dann eine dazugehörige Information B. Und im Rezipienten entsteht die Erkenntnis C. Dies kann auch innerhalb von zwei Einstellungen geschehen wie z. B.:

Planting: Jemand bittet einen anderen um etwas. (Geste oder Dialog)

Pay-off: Der andere verweigert es dem darum Bittenden. (Geste oder Dialog)

Ein dergestalt erweiterter „Planting und Pay-off“-Begriff trifft auf der filmischen Ebene auch auf Schuss und Gegenschuss zu. Auch Rede und Gegenrede auf der Dialogebene sowie Aktion und Reaktion auf der Handlungsebene lassen sich als „Planting und Pay-off“-Funktion darstellen. Und wie gezeigt wurde, kann sogar die Wirkungsebene beim Zuschauer damit beschrieben werden.

Das Prinzip des „Planting und Pay-off“ erweist sich in dieser Sichtweise als ein allgemein anwendbares Mikro-Konstruktions-Modell der filmischen Dramaturgie: Es lässt sich in klassischer, linear und kausal erzählender Film-Struktur, ebenso wie im non-linear und non-kausal erzählten Film als Konstruktionsprinzip nachweisen und somit anwenden als Mittel der Konstruktion audiovisuellen Erzählens in fiktionalen und non-fiktionalen Formaten und allen Mischformen – vom Experimentalfilm, Essayfilm, Dokumentarfilm über Arthouse bis zu Hollywood-Klassikern und Mainstream-Genres.

Die unendliche Vielfalt der Anwendung dieses Implemetierungs-Tools entzieht sich dabei jeder mechanistischen Vereinfachung. Die geschilderte „Planting und Pay-off“-Funktion ersetzt nicht die anderen Theorien und Methoden, sondern integriert sie und erleichtert ihre konkrete Umsetzung.

Marcus Patrick Rehberg (VeDRA) arbeitet als Dramaturg, Autor und Dozent.